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Viola Raddatz: „Smart bedeutet nicht automatisch nachhaltig.“ – ESG-Expertin gibt Tipps

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ESG: Was steckt dahinter?

Wofür steht ESG und welche Bereiche umfasst der Begriff?
ESG ist neben Corona eines der aktuellen Top-Themen, welche die Branche derzeit umtreiben und zu vermehrter Reflexion führen. Corona hat vielfältige Diskussionen angestoßen, die langfristigen Auswirkungen auf einzelne Assetklassen, wie beispielsweise auf Gewerbe- oder Büroimmobilien, sind noch unklar. ESG ist ein holistisches Thema und steht für den Dreiklang: Environmental Social Governance. Es hat das Potential, die Immobilienbranche zu einem langfristigen Umdenken zu führen.

Bisher lag der Fokus stark auf dem Thema Environment. Um was geht es bei Social und Governance?
Auf dem Thema Environment liegt natürlich nach wie vor ein großes Augenmerk, wenn es um die Klimaschutzziele und CO2-Senkungen geht. ESG ist umfassender. Letztendlich lassen sich die Bereiche Social und Governance nicht so leicht abgrenzen wie Environment. Social beinhaltet beispielsweise den Umgang mit MitarbeiterInnen, Mieterzufriedenheit, sozialen Wohnungsbau oder Engagement für die Gesellschaft. Bei Governance geht es vereinfacht gesagt darum, wie Nachhaltigkeit im Unternehmen gemanagt wird. Aber auch Themen wie Compliance oder eine gute Geschäftsführung fallen in diesen Bereich. Es geht um die Strukturen, die ein Unternehmen etabliert hat, damit Geschäftsprozesse im Sinne eines verantwortungsvollen Wirtschaftens vonstatten gehen.

“Es reicht heute nicht mehr aus, nur Green Buildings zu entwickeln. Unternehmen müssen nachweisen können, dass sie sich mit dem Thema ESG ganzheitlich beschäftigten.”

Regularien & Standards: Was kommt auf die Immobilienbranche zu?

Im nächsten Jahr kommen einige regulatorische Neuerungen auf die Branche zu. In welchen Bereichen wird es Regelungen geben?
Genau, diese neuen Vorgaben sind ein großer Treiber der aktuellen ESG-Diskussion. Bereits im März nächsten Jahres greifen die ersten Regulierungen aus dem Sustainable Finance Action Plan der EU. Diese betreffen die Immobilienbranche indirekt. Zuerst haben sie großen Einfluss auf den Finanzmarkt, Banken werden aufgrund der in Kraft tretenden Transparenzverpflichtung stark in die Pflicht genommen. Sie müssen dann abfragen, inwiefern ESG-Kriterien für die Anlageentscheidung bei Kunden von Bedeutung sind. Das heißt folglich auch, dass sie dazu fähig sein müssen, ihren Kunden etwas Entsprechendes anzubieten. Der Finanzmarkt ist dadurch gezwungen, Fonds dementsprechend verstärkt mit grünen Produkten zu füllen. Green Buildings werden dabei eine große Rolle spielen. Generell steigt die Zahl an zertifizierten Gebäuden jedes Jahr, die Bedeutung von Zertifikaten wird in den nächsten Jahren zunehmen. Und da genügt es nicht mehr, die Silber- oder Bronze-Qualitätskriterien zu erfüllen. Gold und Platin werden sich zunehmend als Standard etablieren. Wir sehen auch, dass sich, unter den gängigen Zertifizierungslabels die DGNB-Zertifizierung für nachhaltige Gebäude und Quartiere durchsetzt. DGNB setzt dabei auf ein ganzheitliches System, das Umwelt, Mensch und Wirtschaftlichkeit über den gesamten Lebenszyklus hinweg gleichermaßen betrachtet  – das geht in die richtige Richtung.

Du hast die Transparenzverpflichtung angesprochen. Welche Regelungen oder Gesetze wird es zusätzlich geben?
Der Sustainable Action Plan der EU ist umfassend. Das Ziel ist, die Förderung nachhaltiger Finanzströme und Investitionen. Im Moment sind hier die Offenlegungs- und Transparenzpflichten das, was wir als Nächstes sehen werden. Es wird aber noch mehr folgen – das Thema Nachhaltigkeit und ESG wird ein integraler Bestandteil von Finanz- und Investitionsentscheidungen werden. Auf nationaler Ebene greift zudem die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung. Hier werden wir nächstes Jahr mit einem Preis für CO2 einsteigen. Nachhaltigkeit und ESG verdichtet sich an vielen Stellen und alle werden in die Pflicht genommen, das Thema anzugehen.

Mehr erfahren: In 9 Schritten zur Nachhaltigkeitsstrategie

Umsetzung von ESG-Anforderungen in der Immobilienbranche

Wie ist es um die ESG-Umsetzung in der Immobilienbranche im Vergleich zu anderen bestellt?
Für manche Branchen ist es sicherlich einfacher. Wir sprechen in der Immobilienbranche ganz oft von Bestandsgebäuden und haben generell ganz andere Zeithorizonte in der “Produktentwicklung” – beispielsweise mal eben einen historischen Gebäudebestand nachzurüsten, ist eine große Herausforderung. Im Gegensatz zu anderen Industrien kann die Immobilienbranche ihr Portfolio nicht einfach innerhalb von drei Jahren auf „grün“ umstellen. Das ist für Branchen wie die Lebensmittel- oder Textilindustrie sicher einfacher zu realisieren – auch wenn die Umstellungen auf eine wirklich nachhaltige Produktion hier ebenfalls komplex und langwierig sind.

Wie stehst du zum Begriff “Greenwashing” in Verbindung mit der Immobilienbranche?
Der „Zertifikate-Dschungel“, also die Vielzahl an Gebäudezertifizierungen mit ganz unterschiedlichen Anforderungen, steht oft in der Kritik. Denn teilweise werden Technologien verbaut schlichtweg, weil es der Anforderungskatalog einer bestimmten Zertifizierung so vorsieht.  Die Frage sollte aber immer sein: Ist das sinnvoll hinsichtlich der Langlebigkeit und des zukünftigen Nutzungskonzepts der Immobilie? Kritisch sehe ich ebenfalls den Bereich des „Green Hightech“. Heute werden viele Gebäude mit unterschiedlichsten Sensoren ausgestattet, alles ist super smart. Wird aber Technik verbaut, mit der Mieter vielleicht gar nicht umgehen können oder die sehr störanfällig und laufend ausgetauscht werden muss, ist das nicht besonders nachhaltig. Und das geht dann schon ein bisschen in Richtung Greenwashing. Smart heißt nicht automatisch nachhaltig. Es kann nachhaltiger sein, einfache und solide Gebäude zu konstruieren, die langlebig und vielseitig nutzbar sind und die einfach umgebaut werden können.

„Es kann nachhaltiger sein, einfache und solide Gebäude zu konstruieren, die langlebig und vielseitig nutzbar sind und die einfach umgebaut werden können.”

Ausblick: Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Immobilien

Worauf werden Investoren Deiner Meinung nach in Zukunft besonders achten?
Investoren achten zunehmend auf Ergebnisse aus Ratings wie beispielsweise dem GRESB-Standard, der die Nachhaltigkeit von Immobilienportfolios misst. Die schon mehrfach erwähnten Gebäudezertifizierungen sind hier integraler Bestandteil. Ratings und Zertifizierungen erleichtern die Vergleichbarkeit von „grünen“ Portfolios und den ESG-Leistungen der Unternehmen. Eine Fokussierung auf Umwelt-Themen reicht aber, wie gesagt, nicht mehr aus. Zunehmend kommt es auch auf die Social- und Governance-Strategien der Unternehmen an. Damit Unternehmen hier etwas vorweisen können, ist es sinnvoll, sich mit dem Thema ESG frühzeitig und ganzheitlich auseinanderzusetzen. Darüber hinaus ist es natürlich auch wichtig, ESG-relevante Informationen „investorengerecht“ aufzubereiten. Hier gibt es verschiedene Berichtsstandards, von einfach bis komplex. Einen einheitlichen (Branchen-)standard gibt es bisher nicht. Daran wird aktuell gearbeitet.

ESG wird oft als Trendthema bezeichnet, wie siehst Du das?
Wir sind mitten in einer Klimakrise. Es ist klar, dass wir diese nur bewältigen können, wenn alle mitziehen – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Politik alleine kann das nicht richten und auch nicht der einzelne Verbraucher. Alle sind gefordert. Nur so funktioniert es, dass wir die Erderwärmung verlangsamen und auch nach 2050 noch in einer lebenswerten Welt leben. Die Bau- und Immobilienbranche ist für rund 40% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich und damit besonders in der Pflicht. Ich glaube, sie muss sich dieser Verantwortung noch bewusster werden.

Top-Themen für nachhaltige Immobilienunternehmen

  • Nachhaltigkeits-Ratings von Immobilienportfolios (z.B. GRESB-Standard)
  • Gebäudezertifizierungen
  • ESG-Berichte

Über Viola Raddatz

Viola Raddatz ist Expertin für Nachhaltigkeit, ESG und Corporate Social Reponsibility (CSR). Sie berät Unternehmen bei der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie und einer passenden ESG-Kommunikation ihrer Themen. Zuvor war sie als Unternehmensberaterin bei einer der führenden CSR-Beratungen Deutschlands tätig und hat als Nachhaltigkeitsmanagerin bei einem großen digitalen Immobilienportal gearbeitet.